Eine immer wiederkehrende Geste des aktuellen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sind die weit geöffneten Hände, mit denen er etwas augenscheinlich Großes packen möchte. Nur zu gerne geht er mit seiner Vision der Digitalisierung im Gesundheitswesen hausieren und preist sie nicht weniger als die nächste Revolution in diesem Bereich an. Auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums wurde im Frühjahr ein Interview mit dem Herrn Minister veröffentlicht, in dem er sich den Fragen der Redakteure der Wirtschaftswoche stellt. In seinen Ausführungen stellt er die Verbesserungen für die Patienten heraus: digitale Rezepte, Video-Sprechstunden und eben die elektronische Patientenakte. Darüber hinaus sollen auch junge Unternehmen, StartUps, die Anwendungen für Krankenkassen und Patienten entwickeln, in Deutschland ein fruchtbares Verbreitungsgebiet für ihre digitalen Serviceleistungen vorfinden, statt ins Ausland, beispielsweise USA, abzuwandern. Der parteiübergreifende Spahn-Intimus Karl Lauterbach (SPD) stößt ins gleiche Horn und preist das Recht des Patienten an, gegen Honorar die eigene Patientenakte vom Arzt auf sein Smartphone geladen zu bekommen. Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (ebenfalls SPD) erhofft sich mit der Digitalisierung die Gesundheitsversorgung der Menschen verbessern zu können. Also eigentlich sind die beteiligten Förderer der Digitalisierung im Gesundheitswesen doch angetrieben von ehrenwerten Motiven zur Verbesserung der Möglichkeiten von Patienten? Er führt doch Gutes im Schilde, der Gesundheitsminister Spahn?
Um Jens Spahn und seine Motive etwas besser kennenzulernen, könnte sein Werdegang aufschlussreich sein. Das unabhängige Lobbyismus Lexikon lobbypedia hat die Karriere von Spahn von seiner Banklehre bei der Skandal-Landesbank WestLB bis ins Bundesgesundheitsministerium aufgezeichnet. Besonderen Raum nimmt dabei das Fallbeispiel der Beratungs- und Lobbyagentur Politas ein, an der Spahn beteiligt war, bis er auf politischen Druck seine Anteile verkaufen musste. Politas offeriert seine Dienstleistungen an Kunden aus dem Gesundheits- und Pharmabereich, Jens Spahns Geschäftspartner waren beispielsweise für DocMorris und Pharma-Großhändler tätig: Kommunikation und Kontaktpflege in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Focus schlußfolgerte in seiner Analyse, dass Spahns Abgeordnetenmandat in jener Zeit angesichts seiner Lobbyarbeitsgeschäfte eher Nebenjobcharakter gehabt hätte. Auch nach Jahren reagiert Spahn noch pampig, wenn er in Interviews auf seine vermeintliche Pharma-Vergangenheit angesprochen wird. Bekannt war er in dieser Zeit der Einbindung in die Politas-Beteiligung dafür, dass er PR-Vorlagen zum Beispiel des Verbandes der Privaten Krankenversicherung wörtlich in Gesetzesvorlagen übernommen hat.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke bezeichnet den Gesundheitsminister in Ihrem facebook-post vom 26. Februar 2018 als “wandelnden Interessenkonflikt”. Doch scheint dieser Konflikt rein akademischer Natur zu sein. Defacto scheint keine einzige Aktivität Jens Spahns durch den in seiner Berufung zum Ersten Diener des Volkes in Gesundheitsfragen enthaltenen Anspruch zur Sorge um das Gemeinwohl auch nur ansatzweise gebremst zu werden. Was erwartet die Krankenversicherten im Jahre 2021, wenn der Gesetzentwurf zur besseren Versorgung durch Digitalisierung und Innovation planmäßig in Kraft tritt? Laut Krankenkasseninformationsdienst werden zunächst einmal der Zugang erleichtert und das Werbeverbot für Ärzte gelockert, sprich die Schranke der Einwilligung für den Patienten wird ebenso niedriger gelegt wie auch die Schranke für Werbung. Zudem wird es anfangs den Patienten nicht möglich sein, einzuschränken, welche gespeicherten Daten der elektronischen Patientenakte der jeweilige Arzt, Apotheker oder Therapeut zu sehen bekommt. Zahnarzt, Urologe und Krankengymnast können die Behandlungen der anderen in der Akte mitverfolgen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten bleibt auf der Strecke, geschuldet dem Tempo bei der Einführung der eAkte. Müssen wir Patienten dabei ein bedrohliches Gefühl empfinden? Schließlich handelt es sich bei diesem Kreis der Einsichtnehmenden um Vertrauenspersonen?
Die mit der Umsetzung betraute Firma Gematik, die seit 2005 die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte vorantreibt, hat Anfang 2019 eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse erfahren. Während seit der Gründung ein Gremium aus zur Hälfte der Gesetzlichen Krankenkassen und zur anderen Hälfte aus den Verbänden von Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken über die Arbeit der Gematik wachte, hält nun das Gesundheitsministerium 51 Prozent der Geschäftsanteile. Man könnte denken, gut, öffentliche Kontrolle. Es drängt sich aber eher der Gedanke auf, dass nun der Lobby-Interessen-gesteuerte Gesundheitsminister die volle Kontrolle ausübt und der Patient noch mehr als je zuvor zum Spielball der Gesundheitsindustrie wird. Gibt es Indizien, welcher Gedanke der treffender ist? Die Apotheker-Zeitung beschreibt gleich in drei Artikeln die Ablösung des bisherigen Geschäftsführers der Gematik Alexander Beyer, langjähriger Jurist der GmbH, durch den Pharma-Manager Markus Leyck Dieken, bekannt für Shionogi/Roche, Ratiopharm, Novartis. Pikantes Bonmot des Deals: Dieken bekommt das bisherige Geschäftsführergehalt verdoppelt auf jährlich 300.000 Euro. In seinem Twitter-account lässt sich in tweets und retweets auch schon der Blick auf das größere Ganze erkennen, die europäische Perspektive. Das alles nur, damit der Herr Minister schneller Ergebnisse sieht, wie er heuchlerisch im eingangs erwähnten Interview vorgibt?
Die Gematik wird das werden, was die SPD-Bundestagsabgeordnete Bärbel Bas in Bezug auf das Geschäftsführergehalt “Selbstbedienungsladen” genannt hat. Das Kapital der Gematik wird aber ab 2021 der Zugang zu dem größten Informationspool der deutschen Krankenversicherten sein. Big Data wird das Schlaraffenland der Datenanalysten und Verwerter aus der Industrie und den Pharma-Konzernen werden. Mit großen und weit greifenden Händen werden sich diese bedienen. Die schützenswerten Rechte der Patienten auf selbstbestimmte Informationsweitergabe hat der jetzige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn systematisch außer Kraft gesetzt.
Wie sollte sich der Patientenbund zu diesen Entwicklungen positionieren? Schreibt uns Eure Meinungen und Gedanken in die Kommentare oder auch als persönliche Mitteilung! Was können wir unternehmen? Was sollte passieren?